Interview

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... aus dem Legacy #21 (2002)

1. Sind dir irgendwelche Aufnahmerituale in die Band bekannt? Was muß man
mitbringen, um in Bonehouse zu zocken? Haben sich generell über die Jahre Macken eingeschlichen, die man nur mit "typisch Bonehouse" kommentieren könnte...

Philipp: Mitbringen sollte der oder die Neue am besten die nächste, fertig komponierte Platte! Ideale Voraussetzung für `ne Einstellung...
Tatsächlich gehen wir aber davon aus, dass unsere Besetzung stabil bleibt und wir keinerlei Wechsel vornehmen müssen. Erst vor zwei Jahren haben wir mit Späthi einen "Neuen" in die Band aufgenommen, den ich mal gefragt habe, was für ihn "typisch BONEHOUSE" sei. Für ihn war das so: Er kannte die Band vor seinem Einstieg recht gut und ihm war klar, dass wir keinen selbstverliebten Musikerfritzen suchen, der so daherkommt, als habe er `nen Stock verschluckt. Vielmehr geht es uns bei aller Liebe zur Musik auch darum, dass wir eine Einheit mit Idealen wie Antifaschismus, Nonkonformität oder Individualismus verkörpern. Nix mit "only in it for the music"! Gleichzeitig haben wir auch keinen Bock auf PC-Fanatiker, die hysterisch werden, wenn man sich mal seine Klamotten vom Leib reißt auf der Bühne. Da sollte schon ein gewisser Humor und die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, vorhanden sein... Und wenn der/die Kandidat/in dann noch einige Nächte im Café Stietzel (der "Kneipe" unseres Drummers Kalle) übersteht oder sogar genießt, dann ist er wahrlich ein erstzunehmender BONEHOUSE-Aspirant!

2. Ihr wagt seid Jahren einen Eiertanz zwischen Metal, HC und Punk. Was
spornt mehr an?? Schubkastendenker mit Euer Musik in die Eier zu treten oder
tolerante Musikliebhaber mit Eiern dieselben mit Euer Musik zu kraulen?


Philipp: Beides kann anspornen, aber wenn Du mich festnageln willst, dann gibt mir letztere Variante mehr, denn positive Reaktion sind motivierender als ständig gegen Vorurteile anzukämpfen. Wir sind im Grunde ja geradezu verwöhnt von guten Kritiken und wenn dann mal ein Schubladennazi mit einer Verordnung für ein musikalisches Reinheitsgebot ankommt, kommt das im Kontrast für uns ganz witzig. Eine Kritikerin hat neulich mal geschrieben, unsere Mucke eigne sich "höchstens zum viel Bier trinken, mitgrölen und wild durch die Gegend pogen" (Scream). Das klingt für mich schon wieder nach einer Platte, die ich mir sofort anhören würde... Diese Schubladenfreaks scheint es auch nur bei Zeitschriften und nicht im wirklichen Leben zu geben, zumindest sind sie uns bisher nie leibhaftig begegnet. Offenbar gibt es vielmehr viele Leute, die diese Mischung mögen, wenn sie denn authentisch ist und nicht aufgesetzt. Die meisten Leute mit Faible für Krach schätzen es doch, wennet ordentlich kracht und scheißen auf irgendwelche Genregrenzen!
Beim Schreiben der Songs sind uns aber beide Positionen egal, denn es sind äußere Faktoren, die uns nicht beeinflussen. Wir geben einfach unserem inneren Drang nach und lassen raus, was immer sich in uns regt - und sind über das Ergebnis oft selbst erstaunt.

3. Was hat sich seit Euren Frühtagen verändert? Ist es spannend, den Prozess
des Erwachsenwerdens und sich selbst zu entwickeln in einer Band zu erleben?
Welche Abgründe taten sich da bereits auf, von denen Du früher nicht mal im
Traum gedacht hast?


Philipp: Du musst Dir reinziehen, dass wir mit BONEHOUSE im nächsten Jahr bereits zehnjähriges Jubiläum feiern. Hätte vor zehn Jahren gar nicht gedacht, dass ich überhaupt so alt werde! Die Entwicklung mitzuerleben, ist total spannend für mich. Denn wir haben wirklich sehr bescheiden begonnen und am Anfang waren unsere Songs wirklich ein übles Geeier und Gerumpel. Auch die Gigs waren alles andere als tight. Aber irgendwie haben wir immer weitergemacht und das ständige Zusammenspiel hat uns enorm reifen lassen: Vom knüppeligen HC mit Grind-Einflüssen sind wir doch immer punkiger und rockiger geworden, haben dabei aber auch unsere (Thrash) Metal-Seite immer gehegt und gepflegt. Es ist wirklich geradezu schockierend, wie flüssig und - schluck! - melodisch unsere Songs jetzt klingen. Ich kann aber nur vor unseren Gitarristen in die Knie gehen, die das Ganze mit geilsten melodischen Leads und Finessen versehen, keine Ahnung, wie die das immer hinkriegen. Eine Veränderung ist auch, dass ich Gigs wesentlich ernster nehme als früher, ich empfinde da mittlerweile eine Verantwortung gegenüber dem zahlenden Fan, der unsere Platten kennt und zu recht eine bestimmte Qualität erwartet. Als "erwachsen" würde ich uns als Band allerdings noch lange nicht bezeichnen, wir befinden uns noch knietief in der Rotzlöffel-Phase und werden Euch hoffentlich noch als Opas nerven!

4. Eurer neues Album heißt sich nicht ohne Grund "Vorwärts in die
Selbstverstümmelung" (frei übersetzt). Wie kommt man zu solch bösem
Sarkasmus?


Philipp: Ich kann live tatsächlich oft nicht der Versuchung widerstehen, mir das Mikro vor den Latz zu ballern, bis ich Sterne seh. Komischerweise schaffe ich es aber nie, dass wirklich mal Blut spritzt, ich hab nach der Show nur immer überall rote Flecken - sehen aus wie Teenager-Pickel (mit Mikro-Muster allerdings).
Der Plattentitel ist aber vom kultigen US-Comic "Milk & Cheese" geklaut, eine sehr empfehlenswerte Serie, in der es um zwei rebellische tägliche Produkte geht, halt `ne Milchtüte und `n Käse, die in vermenschlichter Form alles in Grund und Boden kloppen und pöbeln, was sie nervt. Auf einer Ausgabe laufen sie auf dem Cover direkt auf den Betrachter zu - mit zerbrochenen Gin-Buddeln in den Pranken - und brüllen: "Onward To Mayhem!" Das hat mich inspiriert, zumal man diesen Schlachtruf vielfältig deuten kann. So wie du, oder als Aufruf, genau jetzt alles plattzumachen, was Dich ankotzt oder einfach nur als wilden Schrei, mit dem man sich in ein geiles Konzert stürzt. Letztere Variante behandelt übrigens der gleichnamige Song, der beschreibt, wie der graue Alltag durchbrochen wird: Gerade wenn Du denkst, dass um Dich herum nur arme Mutanten dahinvegetieren, entdeckst Du einen Flyer oder ein Plakat und weißt: Das Leben hat doch einen Sinn! Du kannst Dich unter Gleichgesinnte begeben, pogen und bangen, vor die Bühne kotzen und dich dabei einfach nur als Mensch fühlen, von den Ketten der Zivilisation befreit. "I`ve had enough and I`m bursting out, I`m going mad in this idiot crowd … RIOT - ONWARD - RIOT - TO MAYHEM!"

5. Ich habe Eure Scheibe bei mir zu Hause zwischen Skit System, Wolfpack und
den Loud Pipes einsortiert. Findest Du, sie steht dort gut??


Philipp: Allerdings, Alder! Sehr gut sogar, ich muss Dir hiermit einen hervorragenden Musikgeschmack bescheinigen, Volkmar! Alle drei Bands stehen bei uns hoch im Kurs und werden permanent gedudelt. Gänsehaut! Man kann zwar nicht unbedingt sagen, dass wir reinen Crust à la SKIT SYSTEM machen, aber der Einfluss ist sicherlich da. LOUD PIPES stehen uns stilistisch noch näher, sind sie doch dreckig, straight, punkig und etwas melodisch. "Downhill Blues" sollten viel mehr Leute kennen!
Nebenbei interessant, dass Du nach Stilrichtungen sortierst, wir streiten uns in der Band permanent, ob denn nun die alphabetische, geographische oder autobiographische Sortierweise die einzig richtige ist!

6. Wie gehst Du mit dem Symbolismus der Szene um. Es ist ja schick, sich rote
Sterne aufs Designerbluson zu kleben und einen auf Revoluzzer zu machen.
Glaubst Du, dahinter steckt irgendwelche Substanz?


Philipp: Da sprichst du ein trauriges Thema an, denn natürlich steckt bei vielen Spacken keinerlei Substanz dahinter, das ist nur Fassade. Da werden einer Szene einfach bestimmte Symbole entliehen, weil sie gerade als schick gelten. Auch Nietengürtel und Metalshirts sind ja schick geworden und werden offenbar sogar in irgendwelchen Nobeldissen getragen. Die betreffenden Pseudoärsche finden sich dann wahrscheinlich fürchterlich komisch und hip. Solche Rübennasen sollten mal bei AGNOSTIC FRONT in den Pit geschubst werden. Dieses Kopiergehabe setzt sich meines Erachtens noch in anderen Bereichen fort: Der 1. Mai hat gerade wieder gezeigt, wie eine Idee völlig pervertiert wird, bis ihre ursprüngliche Bedeutung nicht mehr erkennbar ist. Denn revolutionäre Ansichten schienen mir die randalierenden Kids nicht mehr verfolgt zu haben, lediglich die Suche nach dem Adrenalin-Kick durch Randale ohne inhaltliche Ziele.

7. Leider leider ist ja die braune Brut nach wie vor ein Thema, daß sich
nicht ignorieren lässt. Welche persönlichen Erfahrungen hast Du mit Revanchismus,
Deutschtümelei und Neonazismus erlebt?


Philipp: Die ersten Erfahrungen gehen in meine Schulzeit zurück. Ein Klassenkamerad, eigentlich ein völlig harmloser Hippie, wurde von einer Horde Fascho-Glatzen zu Hause überfallen und so misshandelt, dass er ein Auge verloren hat. In einem anderen Fall ein paar Jahre später wollte eine ähnliche Bande Neonazis eine Punker-WG überfallen, landete aber in der falschen Wohnung, in der eine Bekannte von mir wohnte. Da sie gerade allein war, brachen die feigen Schweine ihr mit Baseball-Schlägern mehrfach die Arme. Diese dummen und feigen Anschläge haben in mir den Hass auf die braune Szene geschürt. Außerdem hatte ich einen Lehrer, der im Unterricht ständig revanchisitische Ansichten vertreten hat. Mir wurde damals klar, dass unser System auf dem rechten Auge blind ist, denn dieser Pauker konnte jahrzehntelang unterrichten, während linke Lehrer für vergleichsweise harmlose Äußerungen der Schule verwiesen wurden. Für mich deshalb eine Selbstverständlichkeit, aktiv zu werden und den braunen Abschaum zu bekämpfen. Ich könnte mich daher auch in meinen Texten nicht mit Zombies, Burgen oder Fantasy-Storys befassen, gibt es doch reale Dinge, denen ich meinen Hass widmen kann. Mit Genugtuung haben wir registriert, dass wir den Faschos inzwischen ein Dorn im Auge sind, gab es doch bereits rechte Drohmails im Gästebuch unserer Homepage, natürlich immer anonym. Auf keinen Fall werden wir zusehen, wie die HC- oder auch die Metalszene von braunen Ratten unterwandert wird.

8. Ehrlich gesagt ist "Fascist Pig" auf Eurer neuen CD mit einem
derart superben positiv Melodie Drive versehen, daß die Message hier schon
fast ein wenig ad absurdum geführt wird. Oder siehst Du das anders?

Philipp: Du hast absolut recht, wenn Du bei diesem Stück einen Gegensatz entdecktst. Aber dieser scheinbare Widerspruch ist gar keiner, vielmehr ist diese Mischung typisch für BONEHOUSE. Wir haben zwar kritische und meinetwegen politische Textinhalte, lassen uns deswegen aber die gute Laune und das Feiern nicht verderben! Wäre ja noch schöner, wenn man angesichts all der Scheiße, die täglich abläuft, verbittern würde. Nope, wir schöpfen positive Energie aus unserem Hass und legen auch Wert darauf, dass Außenstehende das mitkriegen. Du wirst uns live nicht mit erhobenen Zeigefinger erleben, wir halten uns schließlich auch nicht für schlauer als dat Publikum. Ich habe das immer bei englischen Punkbands wie OI POLLOI geschätzt, die ihre Anarcho-Sonx live mit einem lockeren Spruch auf den Lippen präsentiert haben.

9. Was ist Dir generell wichtig?

Philipp: Da muss ich kurz ausholen: Mit 18 habe ich zwar meinen Führerschein gemacht, aber ich habe es gehasst, hinterm Steuer zu sitzen. Und ich bin stolz darauf, seitdem nie wieder Auto gefahren zu sein (immerhin 16 Jahre)! Ich hoffe daher, dass ich weiterhin ohne Auto auskomme, bin nämlich begeisterter Radfahrer. Autofahren saugt! Autos saugen!! Allerdings steh ich auf Beifahren, ich liebe lange Fahrten nach einem Konzert-Wochenende, da kann man herrlich entspannen, aus dem Fenster stieren, einen Humpen trinken und ein Buch dabei lesen.
Bezogen auf BONEHOUSE mag ich auch das ganze Drumherum, Post beantworten, Leute kennenlernen, geile Bands zu treffen und vor allem live zocken. Ich denke, dass eine Band sich durch Beständigkeit auszeichnet und daher hoffe ich, dass wir in dieser Form noch diverse Scheiben und Gigs hinlegen werden.

10. Welche Note bekommen Bonehouse im Aftershowing?? Traust Du Dir ein
Selbsteinschätzung zu?


Philipp: Ich muss schon sagen, Volkmar, Du bist ein Meister der Doppeldeutigkeit! Aber ich werde nicht auf die dreckige Vision eingehen, die Eure verdorbene Leserschaft beim Wort "Aftershowing" zweifelsohne hegt. Nein, ich sage Dir, was bei uns nach der Show läuft: Um dem ständigen Gesaufe ein Ende zu setzen und somit unsere Lebenserwartung zu erhöhen, haben wir "das literarische Quintett" ins Leben gerufen. Funktioniert so: Vor einem Gig soll man uns mailen, was für einen Schinken der Besucher gedenkt, aftershow vorzustellen. Wir lesen den dann alle vorher und nachem Konz gibt`s die fette Lesung: Vor der unbestechlichen BONEHOUSE-Jury muss der Kandidat aus der Schwarte ausgesuchte Stellen lesen und interpretieren. Dann wird hammerhart diskutiert und spekuliert - manchmal bis in die frühe Morgenstunde. Gibt auch Nierentee und Fladenbrot gratis dazu! Wenn`s gefällt, wird der Vorleser mit `nem feuchten Kuss belohnt (besonders beliebt sind polnische Aphorismen). Ja, ist `ne Supersache, man lernt neue Bücher kennen und säuft nicht mehr so viel! Spart auch Rechnungen für zerbrochenes Mobilar, denn nur selten fliegen bei so einer Lesung Fernseher aus dem Fenster. Na ja, und wenn mal keiner mit `nem Buch kommt, saufen wir dann halt doch, bis die Pupillen platzen...

11. Ob philosophisch oder praktisch, Du kannst das Ende dieses Interviews
völlig frei gestalten...


Philipp: Ja super, verbinden wir doch das Praktische mit dem Philosophischen und verweisen auf unsere homepage www.bonehouse.de! Denn da findet Ihr nicht nur hochphilosophische Song- und sonstige Texte, sondern auch praktische Gig-Termine, Photos und den üblichen Schmonz. Ansonsten abschließend Danke für die Unterstützung und das Interesse!
AGAINST THE MUTANT HORDES!
Philipp + BONEHOUSE


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