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Philipp:
Da lassen wir uns nicht lange bitten und schmettern eine ordentlich lange
und ungekürzte Setlist von 16 Tracks in die Meute. Der Verzerrer
von Späthi geht übrigens wieder - Klebo sei Dank! Wie bei WORLD
DOWN kann man nicht von einem fetten drückenden Sound sprechen, dazu
sind die Voraussetzungen nicht gegeben. Aber egal, manchmal sind diese
Gigs in kleinen Squats mit Gesangsanlage + Backline only die kultigsten.
Und so auch heute, denn es macht Spaß, mit einem Hüpfer direkt
mitten in den pogenden, johlenden und bangenden Freaks zu stehen. Doch
was muss ich hören? Kann es sein, dass mehrere Leute in der Audience
meine Ansagen imitieren? Soll dat etwa heißen, mein akzentfreies
Hochdeutsch gäbe irgendeinen Anlass für derlei Aktivitäten?
Und ein weiterer Skandal: Ein recht angetrunkener Asi packt mir doch glatt
mit verträumtem Augen zwischen die Beine und spielt Billard! Ich
weise daraufhin (und lüge dabei ein wenig), dass ich seit 2 Wochen
nicht geduscht habe und ihn wohl die Pheromone anziehen....
Leider können wir die stürmisch geforderten Zugaben nicht spielen,
denn Martin signalisiert, dass er absolut am Ende ist. Schon vor der Tour
hatte er einen bakteriellen Halsinfekt, der seit gestern wieder durchgebrochen
ist.
Obwohl ja bei einigen Gigs drei- oder sogar viermal so viele Nasen da
waren, verkauft Klebo heute die meisten Shirts - sowat kann man echt nie
vorhersagen. Nach nem Gig schlagen einem ja öfters Leute lobend auffe
Schulter, aber ein Typ macht mich wirklich sprachlos, verkündet er
doch, dass sei heute für ihn neben dem With Full Force-Festival dat
beste Konz des Jahres gewesen. Alter Schleimer!
Beim anschließenden Smalltalk erfahren wir einiges über die
Gerberei, die seit 1990 besetzt ist. Das Haus besitzt mehrere Etagen und
wird von 12 Leuten bewohnt. Im Moment planen die Bewohner, es für
30.000 DM zu kaufen, um jeglichen Stress mit der Stadt endgültig
zu beenden.
Martin packt sich gleich ins Bett und verkündet erschöpft: "Alter,
meine Mandeln sind dicker als meine Eier!"
Klebo hingegen feiert und säuft mit den verbliebenen Punx noch bis
5:30 Uhr und donnert ihnen eine Tourstory nach der anderen um den Latz.
Ich kriege davon nur den Anfang mit, reiße mich dann aber von der
netten Runde los, um fit für Berlin zu sein.
Beim unfangreichen Frühstück erfahren wir noch mehr über
die Gerberei. 1990/91 gab es massive Fascho-Attacken mit Brandbomben vor
den Türen. Im Grunde konnte der Laden nur überleben, weil Weimar
als Touristen-Vorzeigestadt sich praktisch nicht leisten konnte, zu krass
im rechten Licht zu erscheinen und so wurde ungewöhnlicherweise von
oben her gegen rechts agiert. Der Veranstalter Pierre führt uns nach
Gesprächen über die DDR-Punkszene ins Nebenhaus, wo er noch
kultige Platten und Bücher zum Verkauf stehen hat. Das ist v.a. Bollers
Gebiet, der mit diversen Samplern ("Sicher gab es bessere Zeiten..."
und so) ordentlich zuschlägt, und ich finde ein paar interessante
Bücher von Moses Arndt ("Chaostage") und Martin Büsser
("Die neue Mitte - rechte Tendenzen in der Rockszene"). Dann
müssen wir nur noch Klebo aus dem Koma wecken und ab geht`s nach
Berlin!
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