BONEHOUSE - TOURTAGEBUCH

20.10.  Freiburg
24.10.  Berlin

VON DER "Road - Mayhem"-TOUR 2002

23.10.2002
- Weimar -
"Gerberei"


BONEHOUSE, WORLD DOWN
(ca. 60 Besucher)

Derber inner Gerber

Philipp:
Nach einem nicht unerheblich heftigen Ritt von 7 ½ Stunden kommen wir im schönen Weimar an. Dieser Gig ist recht spät auf Initiative der Erfurter WORLD DOWN dazugekommen - so spät, dass der Veranstalter uns nicht mehr rechtzeitig Verträge und Wegbeschreibung geschickt hat. So irren wir eine Zeit lang durch Weimar, was aber durch den Anblick vieler alter schicker Gemäuer nicht langweilig wird. Als wir jedoch gerade denken, dass es hier verdammt viele Goethe-Statuen gibt, merken wir, dass wir ständig im Kreis fahren.
Die Gerberei sieht von außen wie das typische besetzte Haus aus, also schon mal geil, übertrifft von der Inneneinrichtung her jedoch sogar noch unsere Erwartungen: Selbst gezimmerte Möbel, überall kleine Lichter + Kerzen, knackige Anarcho-Sprüche an den Wänden und ein schön kleiner Zockraum, der wat von Wohnzimmeratmosphäre hat.
Unsere Erfurter Freunde von WORLD DOWN kommen termingerecht an - nämlich gerade recht, dass sie nicht mehr mitanpacken müssen, weil wir alles aufgebaut haben. Heute spielen wir bereits zum fünften Mal mit ihnen und somit kann heute eigentlich nix schief gehen, denn jeder Gig hier in der Gegend hat bisher tierisch Spaß gemacht, ob in Erfurt, Jena oder Suhl. Die Leute hier haben etwas Ungekünsteltes, Direktes und damit kommen wir gut klar.
Wieder muss der Koch gelobt werden, denn es gibt ein leckeres Reisgericht mit wahlweise Tofu- oder Fleisch-Schweinkram auffe Teller.
Der WORLD DOWN-Sänger ist nach einer halbjährigen Asien-Reise in die Band zurückgekehrt. Für die Band spricht dabei, dass der Interims-Shouter anwesend ist und auch diverse Male ins Mikro mitbrüllt. Die Mischung zündet, HC mit Metal-Touch. Dat rollt, pumpt und knattert! Dazu dat viehisch tiefe Organ des Sängers Christian, der mich ein wenig an Gorefest erinnert. Zum eigenen Material gibt`s ein Rose Tattoo-Cover von "Rock`n`Roll Outlaw" obendrauf. Großes Kino! Großer Spaß! Viel mehr Leute passen auch nicht mehr in den Raum, die Stimmung an diesem gediegenen Mittwochabend ist definitiv von Geilheit behaftet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Philipp:
Da lassen wir uns nicht lange bitten und schmettern eine ordentlich lange und ungekürzte Setlist von 16 Tracks in die Meute. Der Verzerrer von Späthi geht übrigens wieder - Klebo sei Dank! Wie bei WORLD DOWN kann man nicht von einem fetten drückenden Sound sprechen, dazu sind die Voraussetzungen nicht gegeben. Aber egal, manchmal sind diese Gigs in kleinen Squats mit Gesangsanlage + Backline only die kultigsten. Und so auch heute, denn es macht Spaß, mit einem Hüpfer direkt mitten in den pogenden, johlenden und bangenden Freaks zu stehen. Doch was muss ich hören? Kann es sein, dass mehrere Leute in der Audience meine Ansagen imitieren? Soll dat etwa heißen, mein akzentfreies Hochdeutsch gäbe irgendeinen Anlass für derlei Aktivitäten? Und ein weiterer Skandal: Ein recht angetrunkener Asi packt mir doch glatt mit verträumtem Augen zwischen die Beine und spielt Billard! Ich weise daraufhin (und lüge dabei ein wenig), dass ich seit 2 Wochen nicht geduscht habe und ihn wohl die Pheromone anziehen....
Leider können wir die stürmisch geforderten Zugaben nicht spielen, denn Martin signalisiert, dass er absolut am Ende ist. Schon vor der Tour hatte er einen bakteriellen Halsinfekt, der seit gestern wieder durchgebrochen ist.
Obwohl ja bei einigen Gigs drei- oder sogar viermal so viele Nasen da waren, verkauft Klebo heute die meisten Shirts - sowat kann man echt nie vorhersagen. Nach nem Gig schlagen einem ja öfters Leute lobend auffe Schulter, aber ein Typ macht mich wirklich sprachlos, verkündet er doch, dass sei heute für ihn neben dem With Full Force-Festival dat beste Konz des Jahres gewesen. Alter Schleimer!
Beim anschließenden Smalltalk erfahren wir einiges über die Gerberei, die seit 1990 besetzt ist. Das Haus besitzt mehrere Etagen und wird von 12 Leuten bewohnt. Im Moment planen die Bewohner, es für 30.000 DM zu kaufen, um jeglichen Stress mit der Stadt endgültig zu beenden.
Martin packt sich gleich ins Bett und verkündet erschöpft: "Alter, meine Mandeln sind dicker als meine Eier!"
Klebo hingegen feiert und säuft mit den verbliebenen Punx noch bis 5:30 Uhr und donnert ihnen eine Tourstory nach der anderen um den Latz. Ich kriege davon nur den Anfang mit, reiße mich dann aber von der netten Runde los, um fit für Berlin zu sein.
Beim unfangreichen Frühstück erfahren wir noch mehr über die Gerberei. 1990/91 gab es massive Fascho-Attacken mit Brandbomben vor den Türen. Im Grunde konnte der Laden nur überleben, weil Weimar als Touristen-Vorzeigestadt sich praktisch nicht leisten konnte, zu krass im rechten Licht zu erscheinen und so wurde ungewöhnlicherweise von oben her gegen rechts agiert. Der Veranstalter Pierre führt uns nach Gesprächen über die DDR-Punkszene ins Nebenhaus, wo er noch kultige Platten und Bücher zum Verkauf stehen hat. Das ist v.a. Bollers Gebiet, der mit diversen Samplern ("Sicher gab es bessere Zeiten..." und so) ordentlich zuschlägt, und ich finde ein paar interessante Bücher von Moses Arndt ("Chaostage") und Martin Büsser ("Die neue Mitte - rechte Tendenzen in der Rockszene"). Dann müssen wir nur noch Klebo aus dem Koma wecken und ab geht`s nach Berlin!

 

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